Introjektion
- barbaraberger-kukl
- 7. Jan.
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 8. Jan.

Muster erkennen und loslassen – Ein Blick aus der Lebens- und Sozialberatung
Im personenzentrierten Ansatz nach Carl Rogers steht der Mensch im Mittelpunkt. Seine Erfahrungen, Gefühle und Überzeugungen bilden die Basis seines Lebens. Doch nicht alle dieser Überzeugungen stammen tatsächlich aus einem selbst. Einige davon sind „übernommen“, oft unbewusst, und prägen das Denken und Handeln tiefgreifend. Ein solcher Prozess wird als Introjektion bezeichnet. Doch was bedeutet das genau, wie entsteht es, und wie kann Lebens- und Sozialberatung helfen, diese Muster zu erkennen und zu verändern?
Was ist Introjektion?
Introjektion beschreibt einen psychischen Prozess, bei dem äußere Werte, Normen oder Überzeugungen ungefiltert und unkritisch übernommen werden, als wären sie die eigenen. Es handelt sich dabei um eine Art „geistige Übernahme“, oft ohne dass die Person bewusst wahrnimmt, dass diese Gedanken oder Überzeugungen ursprünglich von anderen stammen.
Beispiele:
• Ein Kind hört häufig: „Nur wenn du hart arbeitest, bist du etwas wert.“ Dieser Satz wird nicht hinterfragt, sondern als Wahrheit verinnerlicht.
• Aussagen wie „Jungs weinen nicht“ oder „Du darfst keine Schwäche zeigen“ können dazu führen, dass Gefühle unterdrückt werden, weil man glaubt, es sei „falsch“, diese zu zeigen.
Wie entsteht Introjektion?
Introjektionen entstehen meist in der Kindheit, einer Zeit, in der Kinder besonders offen und empfänglich für äußere Einflüsse sind. In dieser Phase sind sie darauf angewiesen, von Eltern, Lehrpersonen oder anderen Bezugspersonen zu lernen, was „richtig“ und „falsch“ ist, um in ihrer Umgebung zurechtzukommen.
In folgenden Situationen ist die Wahrscheinlichkeit besonders hoch, dass Introjektionen entstehen:
1. Erziehung: Wenn Kinder oft hören, dass sie bestimmte Erwartungen erfüllen müssen, um Zuneigung oder Anerkennung zu erhalten.
2. Kulturelle und gesellschaftliche Normen: Kinder übernehmen oft die Werte ihrer Kultur oder ihres Umfelds, weil sie sie als selbstverständlich wahrnehmen.
3. Ungleichgewicht in der Eltern-Kind-Beziehung: Wenn Kinder emotional oder psychisch abhängig von ihren Eltern sind, nehmen sie deren Überzeugungen oft ungefiltert an, um Konflikte zu vermeiden oder Zuneigung zu sichern.
Was übernimmt man aus der Kindheit?
Die verinnerlichten Glaubenssätze und Werte können sich tief in die Persönlichkeit eingraben und das spätere Leben beeinflussen. Beispiele hierfür sind:
• Perfektionismus („Ich muss immer alles richtig machen.“)
• Selbstkritik („Ich bin nie gut genug.“)
• Schuldgefühle („Ich darf keine eigenen Bedürfnisse haben.“)
• Vermeidungsverhalten („Ich darf keine Fehler machen.“)
Diese übernommenen Muster wirken oft wie unsichtbare Regeln, die Entscheidungen und Handlungen beeinflussen – selbst dann, wenn sie nicht mehr mit der eigenen Lebensrealität übereinstimmen.
Wie kann Lebens- und Sozialberatung helfen?
Als Lebens- und Sozialberaterin arbeite ich nicht im Bereich der Psychotherapie, sondern unterstütze Menschen dabei, eigene Muster und Glaubenssätze zu erkennen und bewusst zu reflektieren. Im personenzentrierten Ansatz geht es darum, den Klienten in einem wertschätzenden, empathischen und respektvollen Raum zu begleiten, damit er sein volles Potenzial entfalten kann.
Schritte im Beratungsprozess:
1. Bewusstmachung von Introjektionen:
• Gemeinsam mit dem Klienten erkunde ich, welche Überzeugungen und Muster im Leben präsent sind.
• Fragen wie „Woher kommt dieser Gedanke?“ oder „Wer hat Dir das beigebracht?“ können helfen, Introjektionen aufzudecken.
2. Reflexion und Hinterfragen:
• Der Klient wird eingeladen, die übernommenen Glaubenssätze zu reflektieren: „Ist das wirklich meine Überzeugung?“
• Durch achtsames Nachspüren kann der Klient erkennen, ob diese Überzeugungen hilfreich sind oder blockieren.
3. Entwicklung eigener Werte:
• Der Fokus liegt darauf, eigene Werte und Überzeugungen zu finden, die authentisch sind und zum aktuellen Leben passen.
• Der Klient wird ermutigt, sich von hinderlichen Mustern zu lösen und neue Denkweisen zu entwickeln.
4. Förderung von Selbstakzeptanz:
• Ein zentraler Aspekt ist, dass der Klient lernt, sich selbst und seine Bedürfnisse anzunehmen – frei von äußeren Vorgaben.
5. Stärkung des Selbstvertrauens:
• Indem der Klient erkennt, dass er die Möglichkeit hat, eigene Entscheidungen zu treffen, wächst das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Ein Beispiel aus der Praxis:
Ein Klient kommt mit dem Gefühl, „immer perfekt sein zu müssen“. Im Beratungsprozess erkennt er, dass dieser Glaubenssatz von einem Elternteil stammt, der Perfektion als Maßstab setzte, um Liebe und Anerkennung zu zeigen. Gemeinsam erarbeiten wir, dass der Klient seine eigenen Vorstellungen von „gut genug sein“ entwickeln kann. Durch neue Erfahrungen lernt er, dass Fehler keine Ablehnung bedeuten, sondern ein Teil des Wachstums sind.
Fazit:
Introjektionen sind ein natürlicher Teil des menschlichen Lernprozesses, können aber im Erwachsenenalter zu inneren Konflikten führen. In der Lebens- und Sozialberatung begleite ich Menschen dabei, diese Muster zu erkennen, zu hinterfragen und ihre eigenen authentischen Überzeugungen zu entwickeln. Es ist ein Weg zu mehr Freiheit, Selbstbestimmung und innerer Balance – immer mit einem respektvollen Blick auf die Einzigartigkeit des Menschen.
Wenn Sie das Gefühl haben, von übernommenen Überzeugungen beeinflusst zu werden, lade ich Sie ein, sich auf einen gemeinsamen Weg der Reflexion und Veränderung zu begeben. Es ist nie zu spät, alte Muster loszulassen und ein Leben nach Ihren eigenen Werten zu gestalten.



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